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Traditionelle Kulturlandschaften als Vorbild für Nachhaltige Entwicklung? Regionale Problemlagen an einem Beispiel aus Südostpolen

Freitag, 18.06.
14.15 - 16.15
Sektion: Ökologie
Block: Landwirtschaft und ländliche Entwicklung

Christian Schneider, Universität Leipzig

Abstract

Können traditionelle Landnutzungsformate Vorbilder für nachhaltige Entwicklung von Landschaften sein? Die vorliegende Erörterung stützt sich auf eine Diplomarbeit mit dem Titel »Geoökologische Implikationen des möglichen strukturellen Wandels der Landwirtschaft in einer Lösslandschaft in Südostpolen«. Am Beispiel einer ursprünglichen Kulturlandschaft werden die Potentiale und Probleme für nachhaltige Entwicklung analysiert.

Das Krakauer Lössgebiet ist durch eine ursprüngliche, kleinbäuerliche Landnutzung geprägt wie sie historisch in weiten Teilen Europas existierte. Solche traditionellen Landnutzungsformate gelten als Vorbild für nachhaltige Entwicklung von Landschaften (Pretty 1999). Aufgrund des EU-Beitritts Polens ist jedoch eine Transformation und Modernisierung der Landwirtschaft zu erwarten.

Die gegenwärtige Landnutzung entspricht weitestgehend gängigen Nachhaltigkeitsleitbildern. Bis heute dominiert eine kleinteilige Streifenflur. Der erhaltene Strukturreichtum (Geodiversität) ist eine Voraussetzung für hohe Biodiversität. Die zumeist kleinbäuerlichen, familiär betriebenen Höfe entsprechen dem Ideal der integrierten Landwirtschaft. Dies bedeutet: Ackerbau und in geringem Maße Viehzucht, diverse Fruchtfolgen, regionale Sorten, geringer Pestizid- und Düngemitteleinsatz und wenig industrialisierte Verarbeitungsmethoden. Gründe für diese ökologischen Vorzüge sind im niedrigen sozioökonomischen Niveau zu suchen. Die Nutzfläche pro Hof liegt im Durchschnitt bei 3-5 ha. Der Anteil von Semi-Subsistenzbetrieben liegt bei ca. 50%. Diese Betriebe erfüllen also eine wichtige soziale »Stütz- und Pufferfunktion«.

Die detaillierten Felduntersuchungen orientierten sich am Konzept der Landschaftsdiagnose (Bastian & Schreiber 1999). Sie belegen die weitreichende Degradation der Landschaft. Es kann nachgewiesen werden, dass traditionelle Nutzungsformate zur weitgehenden Erosion und Verschlechterung der Böden geführt haben. Neben der nahezu flächendeckenden Abtragung wertvoller, humusreicher Oberböden zwingen Formen der historischen und gegenwärtigen Erosion mancherorts sogar zur Aufgabe der Landwirtschaft. Die Gewässer sind durch die hohe Schwebefracht belastet. Inoffizielle Mülldeponien bedrohen die Nutzflächen und das Grundwasser.

Trotz der traditionellen Prägung widerspricht die Landnutzung also vielfach dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Auch die unter den Schlagworten cross compliance und 2nd pillar of CAP eingeführten Regulationsmechanismen der EU zur Entwicklung nachhaltiger Landnutzungssysteme sind im Untersuchungsgebiet bislang unwirksam. Ökologische Vorzüge gegenüber industrialisierten Agrarproduktionsformen stehen grundlegenden agrarstrukturellen und sozioökonomischen Problemen gegenüber. Die streifenförmige, patchworkartige Besitzstruktur verhindert wirksame Methoden zur Degradationsprävention. Dieses ist im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung jedoch unabdingbar um die wertvollen, ertragreichen Lössstandorte zu erhalten. Erfolgversprechende Ansätze böte eine Zusammenlegung fragmentierter Flächen und die Ausrichtung an Reliefeinheiten.

Es wird deutlich, dass die für moderne Agrarlandschaften entwickelten Methoden zur Etablierung nachhaltiger Landnutzung nur bedingt auf traditionell geprägte Gebiete angewendet werden können. Es bedarf der Entwicklung eigener Leitbilder (Kośmicki & Wałowski 2007), ausgehend von den gegenwärtigen geoökologischen und sozioökonomischen Verhältnissen.

Für die Erarbeitung von Szenarien nachhaltiger Entwicklung ist der Vergleich zwischen traditionellen und industrialisierten Landnutzungsformaten sehr fruchtbar. So kann die fehlerhafte Entwicklung, hin zu einer ökologisch fatalen großformatigen Landwirtschaft, in Südostpolen vermieden werden. Zugleich stellen die traditionell geprägten Landschaften ein Labor dar, für die Entwicklung tragbarer Landnutzungskonzepte in den flurbereinigten »Agrarsteppen«.

Bastian & Schreiber (1999): Analyse und ökologische Bewertung der Landschaft. Spektrum Akademischer Verlag. Berlin
Kośmicki & Wałowski (2007): Nachhaltige Entwicklung der polnischen Landwirtschaft. Edition Sigma. Berlin
Pretty, J. (1999): The Living Land - Agriculture, Food and Community Regeneration in Rural Europe. Earthscan Ltd. London
Schneider, C. (2009): Geoökologische Implikationen des möglichen strukturellen Wandels der Landwirtschaft in einer Lösslandschaft in Südostpolen. Diplomarbeit am Institut für Geographie der Universität Leipzig betreut von Prof. Dr. J. Heinrich